Im November 2009 betritt ein Zauberer die Bühne namens FUNKAMATEUR. Er hat folgende Utensilien dabei:
- 50-Ohm-TX mit 100 V Leerlaufspannung
- verlustlose Halbwellenleitung 50 Ohm
- Lastwiderstand 150 Ohm
Bekanntlich transformierte die Halbwellenleitung 1:1. Strom und Spannungen an ihren beiden Seiten stellten sich daher genauso ein wie bei Direktanschluss der Last an den Sender:
I = Leerlaufspannung / (Innenwiderstand + Lastwiderstand) = 100 V / (50 Ohm + 150 Ohm) = 0,5 A
U = I x Lastwiderstand = 0,5 A x 150 Ohm = 75 V
Die Leistung in den Lastwiderstand ist also P = I x U = 37,5 W
Der Meister gelangt allerdings mit viel Klimborium, wie der völlig unnötigen Errechnung von Energie in Mikrowattsekunden, zu diesem Ergebnis. So hat er Eindruck geschunden und dem Publikum Respekt eingeflößt - eine unbedingte Voraussetzung für das Gelingen großer Tricks!
DIE ZAUBERFORMELN
Die Kunststücke des Meisters beruhen auf folgenden Rechenansätzen:
Kabel-Eingangsspannung = Spannung der hinlaufenden Welle + Spannung der rücklaufenden Welle
Kabel-Eingangsstrom = Strom der hinlaufenden Welle + Strom der rücklaufenden Welle
Das beeindruckte Publikum bemerkt nicht, dass diese Täuschungen sehr plump sind. Denn selbstverständlich stellen Spannung und Strom der rücklaufenden Welle keine Kabel-Eingangsgrößen dar, weil diese Größen ja das Kabel selbst liefert. Sie kommen nun einmal nicht von außen, wie sich das für Eingangsgrößen gehört! Der Meister nutzte geschickt aus, dass die Zuschauer von Elektrotechnik/Elektronik her vorbelastet waren. Dort nämlich ist ein zweipoliger Anschluss entweder Eingang oder Ausgang, aber nie beides zugleich. Die Basis für sensationelle Neuentdeckungen ist gelegt!
EINGANGSLEISTUNG ÄNDERT SICH, AUSGANGSLEISTUNG BLEIBT GLEICH
In dem Moment, wo an der Generatorseite die rücklaufende Leistung ankommt, so der Zaubermeister, ändert sich die Eingangsleistung sprunghaft von 50 W auf 37.5 W. Die Ausgangsleistung bleibt hingegen immer gleich 37,5 W. Ein völlig neuer Effekt für ein lineares Bauteil wie eine HF-Leitung!
RICHTKOPPLER LÜGEN
Ein Richtkoppler zwischen Sender und Kabel hätte gezeigt, dass vom Einschalten bis zum Abschalten des Senders eine konstante Leistung von 50 W in das Kabel fließt und die reflektierte Leistung vollständig in Richtung Generator austritt. Doch hochtrabende Zauber-Mathematik ist selbstverständlich wertvoller als schnöde Experimente – mit sowas macht sich ein Magier von Rang und Namen doch nicht die Finger schmutzig...
NEGATIVES WIRD POSITIV
Der Meister benutzt anstelle eines Zauberstabs einen Taschenrechner. Damit kann er negative Leistung flugs in positive verwandeln, hier bei der rücklaufenden Leistung die Phasenlage zwischen Strom und Spannung auf magische Weise von „total außer Phase“ auf „völlig in Phase“ um 180 Grad verschieben. Ein Zauberstab wäre da völlig überfordert. In den lässt sich nämlich kein Minuszeichen eingeben. Genau das macht der Zauberer mit dem Rechenknecht und stellt fest: „Da die reflektierte Leistung negativ ist und subtrahiert wird, wird sie wieder positiv...“ Der Meister beeinflusst per Tastendruck die Realität! Das Publikum schweigt andächtig. Nun ist der Weg frei für die ganz große Nummer.
NATURGESETZE SIND ORTSABHÄNGIG
Um noch mehr Eindruck zu schinden, folgt ein Bild von einer Computersimulation. Sowas beeindruckt immer! Obwohl nichts in dieser Simulation darauf hindeutet, stellte der Meister fest: „Die reflektierte Leistung einer fehlabgeschlossenen HF-Leitung bleibt also in der Leitung...“ Dies aber lässt nur einen Schluss zu: An den Seiten einer HF-Leitung herrschen verschiedene Naturgesetze. Leider äußert sich der Meiste zu dieser nobelpreisverdächtigen Schlussfolgerung nicht näher.
Trotzdem ist der Direktor begeistert und lässt den Zauberer im Juli 2011 erneut auftreten, wieder mit den alten Tricks, nun aber mit einer Rechteckspannung. Schade eigentlich - ich hätte da noch zwei grandiose Kunststücke:
KABEL SPEICHERT BELIEBIG VIEL ENERGIE
Dazu brauche ich nicht mal einen Lastwiderstand, sondern lasse das Kabel offen oder schließe es kurz. Ich verkürze es dann noch, sodass die Zauberformel für „Eingangsspannung“, „Eingangsstrom“ und „Eingangsleistung“ Werte größer als null liefert. Demnach fließt also beständig Leistung in das Kabel hinein, es kommt aber keine heraus! Ich kann beliebig viel Energie darin speichern!
50-W-GENERATOR LIEFERT 100 W
Dazu kürze ich die Leitung auf 1/8 Wellenlänge und lasse sie offen. Es stellen sich nun als „Eingangsspannung“ 70,1 V und als „Eingangsstrom“ 1,41 A ein. Die vom Generator gelieferte „Eingangsleistung“ beträgt daher satte 100 W. Bei Leistungsanpassung wären es nur 50 W gewesen...
Wenn Sie sich für Leitungstechnik ohne faulen Zauber interessieren, dann darf ich Sie auf das neue Buch „HF-Leitungen verstehen und nutzen“ hinweisen, dessen Inhaltsverzeichnis ich gerade in dieser Rubrik eingestellt habe.
Mit besten 73s, Frank, DL7VFS