Hallo Forum,
ich versuche noch mal einen sachlichen Beitrag zum Thema zu bringen, denn wie es der Zufall will finde ich doch eine verpackte Kabelrolle aus der zwei PL-Stecker raus schauen. Drauf klebt ein schlecht zu lesender Zettel: ... 300000km ... Länge ... RG??? ...
Habe ich tatsächlich ein 300000km langes Koaxkabelstück gefunden, an dem ich mal nachmessen kann? Vielleicht entspannt das ja das Thema wieder? Schaun mer mal:
ich habe ein Oszilloskop und parallel dazu ein Funktionsgenerator mit Ri=50Ohm an ein Kabelende angeschlossen (siehe Anlage) und das Ende des Koaxkabels offen gelassen (mit einem Ohmmeter habe ich mich nicht getraut zu messen). Jetzt einen Spannungsprung von 0...5V am Generator erzeugt und nachgeschaut was das Oszi zeigt (siehe Bild Dauer-k.jpg). Die Einstellung am Oszi war: X=1s/Div und Y=1V/Div.
Was sehe ich da? Am Kabel liegen gar nicht 5V sondern 3,3V (Marke 1) und nach 2 Sekunden stehen da plötlich 5,4V (Marke 2), also deutlich mehr als der Generator abgeben kann. Nach 4 Sekunden stehen plötzlich nur noch 4,8V (Marke 3) und erst bei Marke 4 sind es 5 Volt. Wie kommt das?
- Beim Anlegen des Spannungssprungs läuft das Signal durch das Kabel und "sieht" zunächst tatsächlich den Wellenwiderstand des Kabels. Daher muss es eine Spannungsteilung des Generatorsignals geben. Ohne Last stehen da 5Vss, mit Kabel aber zuerst nur 3,3V. Man kann den Wellenwiderstand also in den ersten 2 Sekunden direkt ausrechnen: (50Ohm+Z)/5=Z/3,3 was durch Umstellen zu Z=(50*3,3)/(5-3,3) wird und als Ergebnis verblüffende Z=97Ohm ergibt. Man beachte, es ist tatsächlich ein Koaxkabel!
- Wenn am offene Kabelende nach 2 Sekunden das Signal wieder zum Eingang ankommt, so müsste der Sprung zwischen Marke 1 und 2 doppelt so hoch wie der erste Sprung vor Marke 1 sein. Ist er aber nicht. Er beträgt nur etwa 2,1Vss. Das Signal muss also durch die lange Leitung gedämpft worden sein. Mal nachrechnen: d=20*log(U2/U1) = 20*log(2,1/3,2) d=-3,926dB. Nicht schlecht für so eine lange Leitung, aber das Signal durchläuft das Kabel 2x (hin und zurück). Die einfache Dämpfung beträgt also -1,96dB.
- Jetzt messe ich mal die Kapazität zwischen Innen- und Aussenleiter. Das ergibt 922pF. Erstaunlich wenig für eine so lange Leitung!
Was ist das für ein Kabel? Da stimmt doch irgend etwas nicht! Die Lösung naht nach der Durchsicht, was es für Koaxkabel mit hohen Wellenwiderständen gibt. Ein RG62U hat z.B. diese Daten:
- Z=93 +/-5 Ohm
- v=0,83
- d=10,5dB@100MHz
- C=42,5pF/m
Der letzte Wert ist interessant. Rechnet man damit nach, dann kommt man auf eine Länge des unbekannten Kabels von l=922pF/42,4pF/m also 21,7m. Also doch keine 300000km lange Leitung, wie auf dem Zettel vermeintlich drauf steht (schade)!
Kann der Wert stimmen? Wie gross wäre die selbst gemessene Dämpfung, bezogen auf 100m? Wenn die jetzt errechnete Länge stimmt, dann würde die Dämpfung d=1,96dB*100m/21,7m also d=9dB sein. RG62U hat eine etwas höhere Dämpfung, doch dass können auch Messfehler sein, denn die Messung zeigt ja ein Z=97Ohm , was aber immer noch im Toleranzbereich liegt.
Aber, wieso ist die Laufzeit mit 2s so gross?
Oh, Verzeihung! Ich hatte die Zeitbasis nicht kalibriert! - Ahem - Also noch mal schnell nachgemessen (Bild Dauer.jpg): Die Zeit zwischen den Sprüngen bei Marke 1 und 2 beträgt nur noch 165ns, der einfache Weg durch das Kabel dauert also nur 82,5ns! Das kann man zur Berechnung des Verkürzungsfaktors verwenden, wenn man annimmt, das das Kabel tatsächlich 21,7m lang ist. Dann ergibt sich: v=l/(t*c) worin c=300000km/s ist. Es ergibt sich v=21,7m/(82,5ns*300000km/s) also v=0,88, was im erwarteten Bereich liegt.
Jetzt muss ich die Verpackung aufmachen.
Was sehe ich? Einen Kabelring. Abgewickelt hat das Kabel eine Länge von 19,95m und drauf steht tatsächlich RG62A/U. Und was sollte das mit den 300000km auf dem Zettel? Ganz einfach. Da steht ganz dünn und fast unlesbar: "c=300000km/s" und "Länge=20m". Die Welt ist also wieder in Ordnung!
Rechnet man nun mit der tatsächlich gemessenen Kabelänge alles noch einmal nach, dann erhält man für meinen Kabelring:
- d=9,82dB/100m (das stimmt schon recht gut)
- C=46,2pF/m
Mit den kleinen Abweichungen kann man leben, denn eine Spannungsmessung am Oszilloskop ist nicht so genau.
Warum aber nimmt bei Marke 3 die Spannung wieder ab? Das iegt daran, dass das am Kabelende reflektierte Signal am Eingang einen kleineren Widerstand (die 50Ohm des Generators) als den eigenen Wellenwiderstand (97Ohm) sieht. Bei der Reflektion gibt es daher eine Spannungsumkehr! Das negative Signal läuft wieder durch das Kabel, wird am offenen Ende reflektiert und wieder um 3,9dB gedämpft. Da es aber negativ ist, subtrahiert es sich vom Pegel bei Marke 3.
Dieses Signal wird nun am Eingang wieder reflektiert und seine Polarität wie schon beim ersten Mal
wegen des kleineren Widerstands des Generators umgekehrt. Bei Marke 4 ist das nun schon 6 Mal reflektierte Signal so schwach (es durchlief immerhin eine Strecke von 6*19,95=119,7m mit d=11,8dB), dass man es auf dem Oszilloskop kaum noch erkennen kann. Das Signal ist quasi stationär auf 5V und ändert sich auch bei weiteren Reflexionen nicht mehr, bzw. es läuft asymptotisch gegen 5V, wie man es auch erwartet.
PS: Mein Ohmmeter zeigte übrigens einen Wert >1GOhm an!
Nachtrag: Weil man sich das ganze hin- und her laufen besser mit einem kurzen Impuls vorstellen und nachvollziehen kann, habe ich zwei entsprechende Oszillogramme ergänzt, die das Messverfahren bei einem einem offenen (Impuls-o.jpg) und bei einem kurzgeschlossenen (Impus-k.jpg) Ausgang zeigen.